Erzählen in der Schule

Erzählen in der Schule

Foto DiLenz
Foto by: DiLenz

Erzählen in Willkommensklassen

Geflüchtete Kinder und Jugendliche, die neu in Deutschland sind und noch kein Deutsch sprechen, besuchen in Berlin zunächst eine Willkommensklasse, um die Sprache und den deutschen Schulalltag (kennen) zu lernen. Erzähler*innen des Vereins Erzählkunst bringen Geschichten in die Willkommensklassen, denn Erzählen hilft nicht nur beim Spracherwerb, sondern verbindet und schafft Vertrauen, und fördert somit nachhaltig die Integration. 

„Über den gegenseitigen Austausch, den Dialog, die gemeinsame Kommunikation über Trennendes und Verbindendes kann etwas Neues, Drittes entstehen. Damit erhält der Begriff der „Interkulturalität“ einen sinnlichen Resonanzraum, in dem es um Aufmerksamkeit, Respekt und Neugier dem Fremden gegenüber geht – dem Fremden auf beiden Seiten!“ 

Prof. Kristin Wardetzky

Mit drei Berliner Schulen arbeitet der Verein Erzählkunst mittlerweile seit mehreren Jahren zusammen. Die Erzählprojekte, die ursprünglich für die Willkommensklassen gedacht waren, wurden auf die Regelklassen ausgeweitet, seitdem weniger Willkommenskinder nach Deutschland kommen. Auch in den Regelklassen ist der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund hoch, auch hier fördert das freie Erzählen die Sprachkompetenz und die Integration aller Kinder.

Foto by: DiLenz

„Erzählen verbindet“ in der Rudolf-Hildebrand-Schule

„Es war einmal, als der Tiger noch die Pfeife rauchte und ich meinen Vater in der Wiege schaukelte…“ – so oder auch ganz anders beginnen die Märchen, die Erzählerinnen des Vereins Erzählkunst e.V. wöchentlich Kindern in den Willkommensklassen der Rudolf-Hildebrand-Schule im Berliner Stadtteil Alt-Mariendorf erzählen. Soogi Kang, Britta Wilmsmeier und Arna Vogel verstehen die Kunst, Märchen aus aller Welt so lebendig zu erzählen, dass auch Kinder ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen ihnen folgen können.

Das Projekt startete im Januar 2016. Mittlerweile wird für zwei Willkommensklassen und drei Regelklassen erzählt. Einmal im Jahr gibt es eine Projektwoche, in der die Willkommensklassen mit den Regelklassen gemischt werden. Gemeinsam treten die Kinder am Ende der Projektwoche mit einer eigenen, frei erzählten Geschichte auf.

BSDSS – Berlin sucht den Super Storyteller – mit diesem Wettstreit haben die Erzählerinnen die Kinder in der Hildebrandt-Schule schon zwei Mal begeistert. Dabei tritt jedes Erzählkind, aus den Willkommensklassen und den Regelklassen, alleine oder in einer Gruppe, mit einer Geschichte gegen andere Erzählkinder an. Eine Jury aus Erzählerinnen, Kindern und Publikum entscheidet am Ende, wer den Pokal bekommt. Die Kids lieben den Super-Storyteller-Wettbewerb und sind mit Leib und Seele dabei.

Das Projekt „Erzählen verbindet“ wurde ursprünglich mit Hilfe von privaten Spendern aus der Wiege gehoben. Seit 2017 wird das Projekt vom Evangelischen Johannesstift und tatkräftig von Herrn Nordgerling, dem Schulleiter der Rudolf-Hildebrand-Schule unterstützt.

 

Broschüre „ANKOMMEN. Erzählen in Willkommensklassen“

Die Erfahrungen aus dem Erzählprojekt in der Rudolf-Hildebrand-Schule hat der Verein Erzählkunst in der Broschüre „Ankommen“ dargestellt, die Sie hier herunterladen können. Die große Nachfrage nach der Broschüre war der Anlass für die Autorin Kristin Wardetzky, das Buch ‚Ankommen. Über die Lust der narrativen Vermittlung von Sprache und Kultur‘ zu entwickeln. Diese Publikation, erschienen 2019 im kopaed Verlag München, geht weit über den Erfahrungsbericht der Broschüre hinaus.  In dem Buch werden die erzähltheoretischen und wirkungsästhetischen Prämissen der schulischen Erzählprojekte reflektiert, außerdem enthält es eine Fülle von traditionellen Geschichten, die geflüchtete Kinder und Jugendliche aus ihrer Heimat erzählten.

Pressestimmen zum Buch

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„Erzählen befügelt“ in der Grundschule am Birkenhain

Seit Februar 2017 läuft in vier Willkommensklassen der Grundschule am Birkenhain in Berlin-Spandau ein Langzeit-Erzählprojekt, in dem die Kinder einen anderen Zugang zur deutschen Sprache erleben als im Unterricht. Die Erzähler*innen Dörte Hentschel, Christine Lander, Soogi Kang, Yifa Maor, Sven Tjaben und Arna Vogel verzaubern die Kinder mit Versen, Liedern, Rätseln und Spielen und nehmen sie mit in die abenteuerliche Welt der Märchen. Allmählich werden die Kinder selbst zu Erzählenden, und so lernen sie lustvoll die neue Sprache.

Das Projekt „Erzählen beflügelt“ wird gefördert vom Evangelischen Johannesstift. www.evangelisches-johannesstift.de/kinder-befluegeln 

Rituale, Musik und Körpersprache: Wie der arme Jüngling den Khan bezwang und wie „Erzählen beflügelt“ die Kinder beschenkt

Aus dem Forschungsbericht „Erzählbrücken“ von Prof. Dr. Natascha Naujok:

Das szenische Erzählen, wie es im Rahmen von „Erzählen beflügelt“ mit Leben gefüllt wird, ermöglicht sowohl Partizipation als auch den Aufbau von sozialen Fertigkeiten; im Kontext von Flucht und Fremdsein kann das szenische Erzählen das Ankommen und Leben an einem neuen Ort erleichtern und Erfahrungen des Verbundenseins ermöglichen. Gemeinsame Erzählerlebnisse sind gemeinschaftsstiftend und selbst etwas zu präsentieren kann auch das einzelne Kind stärken. In Kontexten wie diesem können Kinder sich öffnen und Neues auf- und annehmen. Sprache – Literalität eingeschlossen – ist dabei gleichzeitig Mittel zur Partizipation an sozialen Prozessen als auch Lerngegenstand.

Der Forschungsbericht „Erzählbrücken – Szenisches Erzählen für neu zugewanderte Kinder und das unterstützende Potenzial von Literalität“ von Prof. Dr. Natascha Naujok hier im Volltext

Foto: Britta Wilmsmeier

Erzählen in der Albert Gutzmann Schule in Berlin Wedding

Die Erzählerinnen Britta C. Wilmsmeier, Kathleen Rappolt und Dörte Hentschel bringen Geschichten zu Jugendlichen aus allen Ländern der Welt, die neu in Deutschland sind und eine Willkommensklasse in Berlin besuchen. In 2016 und 2017 erzählten sie wöchentlich in der Albert Gutzmann Schule für die Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren und gaben Raum für die Geschichten und Märchen aus ihren Herkunftsländern. Geschichten fungieren hier als Diplomaten, fördern die Sprechlust und erlauben erstaunliche Einblicke in die „fremde“ Kultur.

Dieses Projekt wurde unterstützt von privaten Spendern und der Märchen-Stiftung Walter Kahn. www.maerchen-stiftung.de

Aus dem Projektbericht:

„Das Erzählen bringt den Schülern etwas Neues und Unersetzbares – nicht nur für den Spracherwerb, sondern vor allem für das Ankommen in dieser neuen Gesellschaft und in einer neuen Kultur. Es hat sie auch stärker miteinander verbunden, weil sie sich gegenseitig halfen, unterstützten und ermutigten.“

F. Philipp, Lehrerin

„Meine Schüler konnten freier und kreativer mit Sprache umgehen als im Deutschunterricht. Die Theaterübungen und Aufgaben in der Gruppe fand ich besonders gut, da sie das Zusammengehörigkeitsgefühl der Klasse ungemein gestärkt haben. Jeder wurde auf seinem Niveau abgeholt und konnte sich im Laufe des Projektes individuell weiterentwickeln, so dass am Ende meine Schüler*innen den Mut hatten, auf der Bühne vor Publikum ihre Geschichten zu erzählen.“ 

Doreen Brumme, Lehrerin

„Die Schüler*innen haben durch das Projekt einen überwältigenden sprachlichen Zuwachs erfahren. Durch viele unterschiedliche und spannende Methoden wurden ihnen über das Künstlerische Erzählen Märchen spielerisch nähergebracht. Gleichzeitig wurde durch die  geduldige und persönliche Zuwendung der Erzählerinnen die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen vorangetrieben und ihre Konzentration und Lust am Entdecken des jeweils Fremden und Anderen gefördert, was für ihre weitere schulische Laufbahn von enormem Vorteil sein wird. Die detaillierte Beobachtung der Lernprogression der Schüler*innen gibt Aufschluss darüber, dass das Künstlerische Erzählen in Willkommensklassen eine unschätzbare Möglichkeit darstellt, in eine literarisch-kreative Welt einzutauchen und mit Hilfe der Sprache Bilder im Kopf zu erzeugen. Dabei war das Ringen um sprachliche Korrektheit zunächst sekundär. Wer das Bild ganz genau beschreiben und darüber sein Erzählen greifbarer machen will, wird um der Geschichte willen die richtigen sprachlichen Mittel suchen. Einen schöneren Zugang zu Sprache kann ich mir nicht vorstellen!“ 

Narges Roshan, wissenschaftliche Begleitung des Projekts

Hier können Sie den vollständigen Projektbericht lesen