Foto Stefan Kühne
29.09.2018,
Alter Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg

Kurz nach dem 155. Todestag von Jakob Grimm, am 29. September haben wir zum Märchenfest eingeladen: Auf dem Alte Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg haben Berliner Erzähler*innen Märchen aus aller Welt lebendig werden lassen.

 

Der Alte Matthäus ist bekannt geworden als der “Friedhof der Brüder Grimm”, denn hier liegen nicht nur Wilhelm und Jakob Grimm begraben, sondern es finden auch seit vielen Jahren Märchenführungen statt. Unter der Leitung von Silvia Freund schlüpfen Gerhard Moses Heß und Jürgen Kretzschmar in die Rollen der Brüder Grimm und erzählen dabei auch historisch biographische Details aus ihrem Leben. Beim Märchenfest haben sich zu ihnen auch historische Frauenfiguren aus der Grimmzeit gesellt, z.B. Dortchen Grimm, Wilhelms Frau, um über die gesellschaftliche Stellung der Frauen im 19. Jhd. zu erzählen.

 

Die Gräber der Brüder Grimm werden von Besuchern aus aller Welt aufgesucht – schließlich gelten die „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm neben der Luther-Bibel als das berühmteste, meistübersetzte Buch deutscher Sprache. Dennoch bleibt der Alte Matthäus-Friedhof ein Kleinod voller verwunschener Ecken, die es zu entdecken gilt, wie zum Beispiel die interreligiösen Gräber von Frühgeborenen, die Gärten der Sternenkinder.

 

Zum Märchenfest kamen rund 100 Besucherinnen und Besucher, darunter etwa 20 Kinder – die Scheu, mit Kindern auf einen Friedhof zu gehen, ist zwar nach wie vor groß, doch Eltern und Pädagogen schätzen die Annäherung an das tabuisierte Thema Tod durch einen geführten Märchenspaziergang über den Friedhof. Dabei binden die Erzähler*innen die Besucherkinder interaktiv in die Geschichten mit ein.

 

Überhaupt wurden alle Besucher während der gemeinsamen Wanderung von den Erzähler*innen eingeladen, assoziativ eigene Geschichten und Erinnerungen beizusteuern. Das gelang: Als etwa Rea Schoen ihr Märchen “Wie die Geschichten auf die Welt kamen” damit beendete, dass nun überall Scherben zu finden sind, auf denen Bruchstücke von Märchen stehen, die erzählt werden wollen – da kam prompt eine Frau mit einem solchen Fundstück und erzählte spontan ein weiteres Märchen.

Zu unserer Freude hat das Fest dem Publikum so gut gefallen, dass alle bis zum Ende blieben. Obwohl insgesamt 10 Märchen erzählt wurden, ging kaum jemand vorzeitig – im Gegenteil, Gerhard Moses Heß musste noch eine Zugabe geben: An der Rundbank unter der Lorbeerkirsche erzählte der Alte-Matthäus-Kenner “Der Junge und das Knäckebrot” mit so vielen Zuhörern und Mit-Essern, dass sein Paket Knäckebrot gar nicht ausreichte.

 

Zum feierlichen Abschluss erzählte Kristin Wardetzky am Grab der Grimms Biografisches aus dem Leben der berühmten Brüder – zum Beispiel die Ungeheuerlichkeit, dass König Ernst August sie, die Göttinger Professoren, mit Huren verglichen hat, die man schnell austauschen könne.

Doch um nicht ausgerechnet mit diesem bösen Vergleich zu enden, geben wir noch einmal unserem Bedauern und Unverständnis Ausdruck, dass unser Antrag auf öffentliche Förderung nicht bewilligt wurde. Das ist zwar auch kein positiver Schluss, aber er lässt sich wenigstens beim nächsten Märchenfest revidieren!