Erzählen ist die kleinste Form des Theaters
Erzähler*innen sind Autor*innen, Regisseur*innen und Schauspieler*innen in Einem. Anders als im Theater oder bei literarischen Lesungen sind die Erzählenden jedoch weder an einen schriftlichen Text noch an Regieanweisungen gebunden, sondern interagieren frei mit ihrem Publikum. Erzähler*innen kommen ohne Technik und Bühnenbild aus: Im Zentrum der Erzählkunst steht der sinnlich erfahrbare Mensch.
Erzählen ist die älteste performative Kunst
Der Mensch ist ein erzählendes Wesen. In allen Kulturen und seit mehr als 4000 Jahren halten Menschen über das Erzählen ihre gemeinsame kulturelle Identität lebendig. Auch die modernen Erzähler*innen schöpfen aus den alten, ursprünglich mündlichen Überlieferungen der Menschheit: Sie entwickeln ihre Geschichten aus Märchen, Mythen und Sagen aus aller Welt. Dieses immaterielle Kulturerbe, von der UNESCO anerkannt, behandelt Grundfragen der menschlichen Existenz wie Gier, Verrat, Liebe und Tod. Zeitgenössische Erzählkunst holt die traditionellen Stoffe in die Gegenwart und macht sie für die Fragen von heute produktiv. Unterhaltsam und humorvoll ist das freie mündliche Erzählen sowieso!
Erzählen ist sozial und transkulturell verbindend
Das freie mündliche Erzählen fördert nachweislich die transkulturelle Bildung, Wertevermittlung und Sprachkompetenz. Erzählen verbindet dabei Menschen verschiedener sozialer und kultureller Herkunft. Denn Erzählen erreicht jeden: Egal welchen Alters, Bildungsgrads oder kulturellen Hintergrunds – Geschichten verbinden alle Beteiligten in einem gemeinsamen schöpferischen Prozess. Dank Mimik und Gestik überwinden Erzähler*innen Sprachbarrieren und erschaffen imaginäre Welten, die zugleich in der Phantasie jedes einzelnen Zuhörers entstehen.
Erzählen ist hochaktuell
Heute im digitalen Zeitalter ist es vor allem die sinnliche Präsenz im Hier und Jetzt, die die besondere Magie des künstlerischen Erzählens ausmacht: Mit Sprache, Körper, Herz und Witz treten Erzähler*innen in direkten Kontakt zum Publikum. Erzählen ist pure Gegenwärtigkeit, ohne Technik, und damit ein radikaler Gegenpol zur Digitalisierung. Dass es eine Sehnsucht nach dieser lebendigen Unmittelbarkeit gibt, zeigt die aktuelle Renaissance des Storytelling weltweit. Angesichts von globaler Migration und wachsender gesellschaftlicher Spaltung gewinnt Erzählen zudem an politischer Bedeutung – als partizipative, demokratische und transkulturelle Kunstform.